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Der Deutsche Schachbund veröffentlichte heute eine merkwürdige Nachricht auf der Startseite. Es geht um einen Betrugsfall auf der DEM, worin ein Spieler des Betrugs überführt wurde und nun seine Strafe erhält.
Ich möchte diese Gelegenheit nutzen und einen wichtigen Punkt zu einem vor kurzem hier erschienenen Aufsatz ergänzen.
Denn was die Rechtsräume betrifft, so brennt sich das Gerechtigkeitsempfinden umso mehr in das Gedächtnis ein, je öffentlicher und grausamer die Hinrichtung ist - bis hin zu Menschenopfern, indem der Wortbrüchige (der von der Gemeinschaft Ausgestoßene, nicht mehr die selbe Sprache Sprechende) einer höheren Instanz "zu Liebe" geopfert wird (der Gemeinschaft, dem "allgemeinen Wohlstand", dem Herrscher, Gott usw.).
Im Schach ist es nicht ganz so schlimm. Aber der Marktanbieter fordert in der Bestrafung eines Sträflings eben nichts anderes, als einen zuvor erlittenen Schaden zu kompensieren. Die Kompromittierung wird so gewählt, um den anderen Marktteilnehmern zu vermitteln: wagt es nicht, euch einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen!
Warum ist die Nachricht im Link so merkwürdig?
Es hat alle Elemente der öffentlichen Hinrichtung:
- die Marktaufseher versammelten sich (wie es scheint: alleine), um das Urteil zu besprechen
- das Urteil wird in aller Öffentlichkeit vorgelesen
- der Wortbrüchige erhält ein Bild, damit er auch ja überall erkannt werden und leiden kann
Außerdem steht geschrieben:
Der Deutsche Schachbund prüft die Einrichtung einer zusätzlichen Kategorie auf www.schachbund.de. In dieser Kategorie sollen die vom DSB gegen Spieler und Spielerinnen ausgesprochenen Sanktionen u.a. zur Information von Turnierveranstaltern öffentlich dokumentiert werden.
Hervorragend! Sprich: Eine Trophäensammlung der erwischten Täter. Aber dann bitte ohne Bild oder Namen.
Wenn ein Haus brennt, bringt es wenig, die Brandstifter zu suchen und zu demaskieren. Brandstifter wird es immer wieder geben. Schon eher muss man ihre Mittel im Haus komplett verbieten.
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- Geschrieben von Fjodor Schäfer
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Vor kurzem erreichte uns die Beschwerde eines Schachfreunds/in, die exzellent zu "Zur Ökonomie des Schachs III" passt. Die Person gibt seinen Frust über den Abstieg der SF Burg kund. Denn ihm tun die Wrister und Barmstedter Leid, da sie jetzt um den letzten verbleibenden Platz in der Bezirksliga spielen müssen. Es sei ein klares "Fehlverhalten" der Burger. Er fordert eine "Bestrafung/Sanktion", wie z.B. dass Vereine, die ihre Mannschaften so zurückziehen, eine Saison nicht spielen dürfen.
Nehmen wir das mal theoretisch auseinander und fragen nach dem Recht im Schach.
Ein Verein erleidigt einen plötzlichen, gefährlichen Schaden an seinem Saisonziel. Die kollektive Schuld des geplanten Erfolges evoziert ein schlechtes Gewissen. Es braucht einen Schuldigen, einen Täter, der im Unrecht ist. Er muss mit seiner Bestrafung, seinem Opfer, für die Schuld gerade stehen. Das alles fordert der Rechtfertigungsglauben, die Perspektive der Schuld.
Ich brauche hier nicht auszuführen, was das Grundprinzip dieses Ressentiments ist: Rache. Instinktiv sucht der geschädigte Habitus zu seinem Leid eine Ursache, einen Täter, an den es sich zu rächen gilt. Der Schaden, die unappetitliche Überraschung, muss beglichen werden. Irgendjemand anderes muss sie verdauen.
Nicht zu vergessen ist die Ungerechtigkeit des Mitleids. Der Schachfreund/In sieht sich in einer Verantwortung für das Saisonziel. An einem Misserfolg würde er leiden – oder eben jetzt, weil er die Überraschung nicht verkraften kann und sich darüber beschwert.
Wer hat Recht?
Selbstverständlich diejenigen, die sich an das Reglements des Marktes halten. Wer sich nicht an die Regeln hält, der spielt kein Schach. Der unbestimmte Rechtsraum ist der Lebensraum von Politik. Die ist kontingent und hat niemals Recht. Dort gibt es keine Richter, aber die sogenannten Besserwisser.
Ist aber eine Umformulierung der Spielordnung nötig? Brauchen wir eine Wahrheitspolitik? Muss man Vereine - wie z.B. Eckernförde in der Jugendlandesliga – bestrafen, wenn sie ein Ungerechtigkeitsempfinden irgendwo auslösen?
Es gibt wohl wenig, was so sicher ist, wie dass Strafe zu keiner Besserung des Bestraften führt. Gemischt mit Rachegelüsten ist es das gefährlichste Gift für den Habitus. Die Wurzel des Übels habe ich oft genug betont: Der Rechtfertigungsglauben, der Verantwortungstrieb aus einer Schuld heraus, kurz: einer Erbsünde vom Vereinsgott...
Um es also so kurz wie möglich zu halten:
Eine gesunde Moral steckt sich nicht mit dem Pessimismus an. Sie niest einmal und stößt damit alles Krankhafte von sich. Dabei ist für das Niesen nicht das Krankhafte "Schuld" – das würde einer behaupten, für den Niesen so normal wie Atmen ist –, niemals!, es ist der notwendige Reflex eines starken Immunsystems. Der starke Habitus sucht nicht nach einem Schaden in sich, sondern passt sein Immunsystem automatisch an. Denn alles Leidbringende muss instinktiv perhorresziert werden. Ohne Fragen zu stellen. Ohne überhaupt einen Schuldigen zu suchen.
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Im ersten Teil, wo es um die Grundlegung einiger Begrifflichkeiten ging, wird der Verein als eine künstliche Person angesehen, die hauptsächlich dem Profitinteresse des Schachspielers und seiner Person dient. Die Mitgliedschaft in einem Verein ist verbunden mit einer Einschränkung von Freiheitsgraden - der Schachspieler spielt nicht nur für sich, sondern vor allem für den Verein, der ihm Vorteile in Aussicht stellt -, aber auch mit einer Multiplikation der Profitmöglichkeiten (Vereinsturniere, Spielabende usw.) und Kostensenkung, wie etwa, dass man externe Kompetenz aus dem Verein wahrnimmt (in Form des Trainings) und dadurch unnötigen Zeitverlust vermeiden kann.
Der Verein ist räumlich nirgendswo lokalisierbar. Jeder Verein besitzt zwar einen Standort, aber es sind einzig die Mitglieder (Mitarbeiter), die in ihrer Gesamtheit den Verein bilden und wodurch erst das Vereinswesen am Leben gehalten wird. Für unsere Zwecke können wir das Vereinswesen zuerst in folgende Punkte gliedern:
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Den Vereins-Körper als eine Ansammlung von existenten Personen, die je in
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der Vereins-Geschichte gelebt haben, und darin Vereinsarbeit leisteten, wodurch sie
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Vereins-Kapital akkumuliert haben.
Um den Körper am Leben zu erhalten, soll heißen: um dafür zu sorgen, dass laufend Personen in die Geschichte integriert werden, sind die basalsten Gelingungsbedingungen die, dass der Verein seine eigene Chronik schreibt, die von der Vereinsarbeit der MitgliederInnen abhängig ist.
Einen Verein können wir somit wie ein Unternehmen betrachten, welcher sich immer wieder auf einem gesamten Markt (Feld, Raum) von anderen Vereinen behauptet. Der Verein bietet den Konsumenten
(SchachspielerInnen und sonstige Personen) ein spezifisches Vereins-Angebot, welche diese durch eine vertragliche Mitgliedschaft wiederrum beeinflussen können, indem sie etwa anhand ihrer Marktpreise (Titel, DWZ, Elo usw.) das Produktionssystem verbessern können. Ein effizientes Produktionssystem versteht es jedoch auch, eine Propagandamaschinerie auf längst Vergangenes einzurichten, da diese Leistungen schließlich dem Verein gehören, weil die einzelnen Körperteile dafür gearbeitet haben. Insofern ist es absolut wichtig, dem Verein ein Gedächtnis zu geben, welches sich in Form einer eigenen Homepage ausgezeichnet amputieren lässt.
Durch die Investition von Zeit (Vereinsarbeit, Mitarbeit) entwickelt sich bei den MitgliederInnen eine Art Bewusstsein für das Vereinswesen. Wer lange dabei ist, versteht die Vereinsgeschichte besser als ein Neuankömmling. Allerdings ist eben nicht der rein zeitlich dokumentierte Aufenthalt im Verein entscheident für das Mitglied, denn es kann sich ja auch um ein passives Mitglied handeln, welches zwar angemeldet ist, aber nicht am Vereinsleben beteiligt ist. Insofern muss das Vereins-Kapital gesondert betrachtet werden, soll heißen: Etwas, was dazu beiträgt, dass der Verein seine Grenze zwischen sich und etwas "anderem" aufrechterhalten kann.
Wem etwas gehört, setzt ein Medium ein, wodurch er eine Unterscheidung zwischen sich und etwas anderem erzielen kann. Vereinsarbeit, d.h. wo man Zeit für den Verein aufwendet, bedeutet eben unter anderem, dass andere Vereine diese Zeit nicht bekommen, wodurch das Mitglied im Verein für den Verein arbeitet.
Vereinsarbeit ist nicht nur auf signifikante Tätigkeiten im Verein beschränkt - wie etwa Vorstandsarbeit, Spieldienst, Fahrerdienst, Training usw. - sondern beginnt schon bei der bloßen Nennung eines Vereinsnamens. Diese Abgrenzungsarbeit findet sich schon auf unscheinbarer Ebene eines Einzelturniers wieder, wenn dort etwa die SchachspielerInnen ihr Etikett mit sich tragen. Der Abgrenzungsmechanismus wird dadurch verstärkt, indem etwa der Verein im Falle eines Turniersieges das produzierte Gut benutzt, um sich weiter von den "anderen" zu distanzieren. Denn es ist eben "unser Spieler der Turniersieger" usw. Dadurch versteht sich von selbst, woher das Prestige kommt. Man kennt eben nicht alle Vereine gleich gut, weil einige wenige ("erfolgreichere") öfters einen bemerkbaren Schnitt zwischen sich und ihrer Umwelt setzen konnten. Sie besitzen sozusagen mehr Vereinskapital in Bezug auf ein gesamtes Feld von Vereinen, das sich dieses gegenseitig zuschreibt. Die weniger Bemerkbaren sind halt die, die sich nicht rigoros abgrenzen können - "Vereine unter vielen".
Mit dem Vorstand besitzt ein Verein zumindest eine objektive Stimme, die im Namen des Vereins sprechen darf. Sie zieht nach jedem Geschäftsjahr eine Bilanz auf einer Mitgliederhauptversammlung und berät über den (Gesundheits-)Zustand des Vereinswesens und seine Perspektive. Was durch die Inklusion verselbstständigt wird, dass nämlich jedes Mitglied die gleiche Vereinssprache sprechen muss, um von den anderen verstanden und akzeptiert zu werden, erfordert jedoch auch eine unterschiedliche Tonhöhe. Ein Vorstandsmitglied kann zwar über das Gleiche sprechen wie ein Neuankömmling, beide sagen jedoch nicht das Gleiche. Als maßgebend für die Aussagekraft gilt das durch Vereinsarbeit zugesprochene Kapital, welches sich in Ämterklassifikationen, aber auch Leistungsansprüchen von Mitgliedern ("Wenn dies nicht so geschieht, wie ich es will, gehe ich") symbolisiert wird.
Im Kampf um die richtige Artikulation der Mitglieder - also was fortwährend als "wahr" für den Verein zu gelten hat, wie der Verein zu sein hat, wie gelebt werden soll usw. – sind die Drohmittel gleichzeitig auch Enteignungsversuche am Verein. Denn jeder Verlust eines Mitglieds bedeutet, dass in der kommenden Saison Vermögen fehlt.
Diese philosophischen Diskurse können daher Schaden im Vereinswesen anrichten, wenn nicht einheitliche Spielregeln für das Sprechen gelten. In allen gesellschaftlichen Spielen - sei es Schule, Beruf, Familie usw. - finden sich bestimmte Spielregeln, an die man glauben muss, da ansonsten eine flüssige Kommunikation (und damit ein reibungsloser Güterverkehr) unmöglich wäre. In der Schule duzen die Schüler keine Lehrer, mit dem Vorgesetzten redet man in den allermeisten Fällen nicht wie mit Freunden usw. - alles das sind nur zwei Beispiele für Selbstzensur.
Wie ist es im Verein? Selbstverständlich profitiert niemand davon, wenn man sich beschimpft. Auch wird über bestimmte Inhalte nicht gesprochen, da man sich sonst nicht verstehen könnte: Quantenphysik, Farbe der Unterhose usw. Wäre es dann nicht notwendig, dass ein Vereinsmitglied gewisse andere Dinge auch zensiert, weil sie schlichtweg unverständlich sind. Ich meine sowas wie Spekulationen über einen möglichen Vereinstod, vor allem, wenn man doch lebt. Man muss sich das einmal klar vor Augen führen, welchen Sinn so eine Diskussion hat. Einen Untergang zu prophezeien bedeutet nämlich, an diesem zu arbeiten (Jede Prognose oder Umfrage hat manipulativen Charakter. Indem man voraussagt, wie etwas ausgehen könnte, beeinflusst man diejenigen, die das entscheiden können). Gedanken zu produzieren, die sonst noch am Vereinssinn zweifeln lassen, sind klare Anzeichen eines erkrankten Habitus.
Wenn also der Sinn einer Mitgliedschaft der ist, dass man seine Profitmöglichkeiten ausbauen will, wie kann man dann davon sprechen, wie diese eingeschränkt werden könnten?
Wie spricht also ein gesunder Verein? Vor allem leugnet er sich selbst nicht, sondern steht zu sich und seiner Geschichte. Er perhorresziert vielmehr das, was ihn krank macht. Das ist seine Selbstzensur. Damit die Profite risikofrei werden können, verhindern bestimmte Kommunikationsgesetze verlustreiches Denken und Sprechen. Das steigert das Machtgefühl.
Ganz abgesehen davon, dass jede Planwirtschaft früher oder später gescheitert ist, so wird eine gesunde Vereinsführung instintiv auf jede Einplanung von Erfolgen verzichten.
Was nämlich Ziele sind, so habe ich versucht, es im letzten Beitrag deutlich zu machen: Schulden. In diesem Fall verschuldet sich der Verein (MitgliederInnen) bei seinen SchachspielerInnen, welche von diesem einen Profit erwarten. Das bedeutet nichts anderes, als dass eine Zielsetzung im Vereinswesen eine Schuld mit sich selbst ist.
Eine planwirtschaftliche Vereinsführung, die sich also vor der Saison ein Ziel setzt, dass sie gerne erreichen will, um ihren Anlegern dieses auszuschütten, sieht sich ebenso dem Risiko ausgesetzt, bei Misswirtschaft schnell in eine Krise zu versinken. Wird diese Schuld mit längst getilgten summiert - wie etwa, dass man nach einem Abstieg wieder aufsteigen müsste und den Klassenerhalt in der soeben abstiegenen Liga schuldet -, so sind Kündigungen von Mitarbeitern nicht nur unter dem Gesichtspunkt zu verstehen, dass sie mit ihrem Lohn unzufrieden sind, sondern auch, dass die MitarbeiterInnen anscheinend denken, sie müssten jetzt mehr arbeiten. Es entsteht das Gefühl einer "vergeudeten" Saison in der unteren Spielklasse, was aber, rein faktisch gesehen, unmöglich ist, da Profit, beziehungsweise das Gefühl von Machterwerb, unabhängig von der Spielklasse entsteht. Das Glück eines Bezirksliga-Aufsteigers kann größer sein als das eines Oberligisten, wenn er sich seine Wachstumszahlen genauer ansieht.
Jede akribische Planung deutet vielmehr auf ein krankes Vereinswesen hin. Denn der geplante Erfolg wirkt dann wie ein Medikament, das dem Körper unbedingt fehlt, was er unbedingt benötigt, um sich auch gesund und munter zu fühlen. Dieses Scheinglück der Medikamente mildert das Leiden, bekämpft es jedoch nicht. Die selbstauferlegte Unzufriedenheit mit sich selbst (namentlich: der Pessimismus, der im Vereinswesen seinen Ausdruck darin findet, dass man Ziele benötigt, um sich besser zu fühlen), gilt als eine der bestgescheitertsten Dinge überhaupt. Pessimismus kann einfach nur falsch sein. Vielmehr lässt sich aus dem, woran überhaupt nicht geglaubt hat, was man überhaupt nicht als ein bewusst gesetztes Ziel hatte, mehr gewinnen als wenn man es als Ziel gehabt hätte. Dann würde nämlich die "Überraschung" fehlen.
Eine gesunde Vereinsführung spricht eben nicht über das, was ihr selbst schadet. Diese Zensur ist die Wahrheit des Vereins. Ein gesunder Verein will nichts außer seinen Siegen, die er nicht wollen kann, weil sie ihm sowieso zustehen. Die Zielsetzung von diesen Erfolgen wird erst im Nachhinein hinzugedichtet. Das Vereinswesen hat keine Ziele wie "rumdaddeln" oder "so oben wie möglich spielen". Das erwächst aus einem Rechtfertigungsglauben für die Zeit, die man investiert. Die Alternative ist also denkbar einfach: Ein starker und gesunder Geist verkraftet jede Überraschung. Das macht ihn siegreicher.
Nach den bisherigen Ausführungen könnte es zu Verunsicherungen gekommen sein über den Sinn und Zweck eines Vereins. Wenn Ziele generell die Gefahr implizieren, dem Vereinsleben zu schaden, wie überleben Vereine dann? Übertragen wir einmal den Charakter von Zielen: das etwas einem fehlt, auf den Moment einer Vereinsgründung. Sicherlich kann man sagen, dass die Gründerväter und -mütter das Ziel hatten, den Verein zu gebären, weil ihnen etwas fehlte. Dies würde jedoch das Wort überstrapazieren, weil ihr Wunsch nach Vereinsidentität keine wirklichen Entscheidungsalternativen in Aussicht stellte (keine anderen Ziele), sondern vielmehr autopoietisch Notwendigkeiten folgte, die bereits im Lernen von Schach beginnen. Zu sagen, die Vereingründer hatten das gemeinsame Ziel, einen Verein zu gründen, ist an dieser Stelle unhaltbar.
Um in der Pseudo-biologischen Sprache zu bleiben; so war es der immanente Trieb des Vereinswesens, das die Gelegenheit sah, sich selbst zu verwirklichen. Es besitzt kein konkretes Ziel, keine Schuld mit sich selbst, sondern ist ausschließlich auf Selbsterhaltung spezialisiert.
Wie ist es möglich, dass ein Verein sich selbst erhalten kann? Selbstverständlich benötigt er Körperteile, die bereit sind, für ihn zu arbeiten. Die SchachspielerInnen bieten sich an und fragen sich gleichzeitig als MitgliederInnen nach. Ein eigenes Gedächtnis mit einer eigenen Sprache sorgen dafür, dass die MitarbeiterInnen sich auch verstehen können.
Die Selbsterhaltung des Vereinswesens funktioniert jedoch nicht über planwirtschaftliche Aktivitäten der Mitglieder. Das Wachstum geschieht vielmehr mit Überraschungen und einer guten Verdauung. Das, was als Zielsetzung interpretiert wird, sind vielmehr Notwendigkeiten, die sich aus dem Verdauungsprozess ergeben. Wer eine gesunde Verdauung hat, der weiß auch, an was er sich herantrauen kann. Es ist aber nicht seine Verpflichtung, sein Medikament es auch tun zu müssen.
Dieses Gefühl der Verdauung sorgt für den Geschmack im Vereinswesen, indem es instinktiv versteht, was er zu sich nehmen muss, um gesund zu bleiben. Jedoch ist es gefährlich, diesen Geschmack von einer zentralen Instanz regulieren zu lassen, insbesondere weil ein Vereinsunternehmen ebenso eine Feldformation aufweist mit divergenten Sprecherpositionen (heterogene Kapitalverteilung). Es finden ständig philosophische Auseinandersetzungen um die "Wahrheit" des Vereinswesens statt. Was aber nicht vergessen werden darf: Ein gesunder Zustand wird sich um sein Wachstum keine Sorgen machen können, denn alles, was gesund ist, besitzt auch die Möglichkeit, neues Leben schenken zu können. Das ist sein eingefleischter Wille, seine Vision?
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Der dritte Teil der Aufsatzreihe widmet sich schließlich der Gerechtigkeit im Schach. Die Aufsätze schrieb ich alle in dem Bestreben, durch eine theoretische Sprechweise eine Bewertungsebene zu finden, von der man aus Probleme im Schach beschreiben und auch objektiv beurteilen kann. In diesem Beitrag werden zwei beispielhafte Schwerpunkte thematisiert. Das eine ist die Entscheidung darüber, ob im Spielbetrieb geraucht werden darf und das andere ist der Götzendienst im Vereinsleben. Um bis dahin zu gelangen, ist es zunächst notwendig, einige Begriffe wie Recht, Unrecht oder Gerechtigkeit zu erklären.
Bisherige Begriffe
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Zeit: eine geschenkte Ressource
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Profit: Zuwachs von jeglichen Formen des Kapitals (= Machterwerb), die sich in der Stabilisierung der Person ausdrücken (Wie ein Nicht-Spieler vom Erfolg von Spielern profitiert, ist hier beschrieben.)
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Leistungsvermögen (z.B. Spielstärke, Organisationstalent): ein von einer Person ausgebautes Produktionssystem zur Akkumulation von spezifischem Kapital
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Preis: erworbene Größe zur Festlegung des Leistungsvermögens (sowohl im Schachspiel, als auch in der Vereins- oder Verbandsarbeit: Positionen)
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Markt (auch Feld): ein Austragungsort für Kapital- und Güterverkehr, das wiederrum konventionelle Gesetzmäßigkeiten besitzt, um sich von anderen Feldern abzugrenzen (Vereinsmeisterschaft, Landesmeisterschaft, Deutscher Schachbund usw.)
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Marktwert/-preis: spezielle Form des Preises, die nur innerhalb eines bestimmten Feldes berechenbar ist; z.B. Titel (symbolisch), Wertungszahlen (numerisch)
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Währung: die vom Markt gewährte einheitliche Bemessungsgrundlage eines Preises (Stadtmeister, Landesmeister, DWZ usw.), das nur innerhalb des Feldes rechtliche Gültigung besitzt.
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Ziele: Verpflichtende Forderungen (Schulden), die in irgendeiner Form (z.B. Schuldgefühle) abbezahlt werden müssen
2. Der Rechtsraum
Das Schachspiel ist ein spezifisches Regelwerk, das nach seiner Inkorporation (Einverleibung, die der Person das Recht auf Leugnung der Regeln verwehrt) allen Partizipierenden ein System von fairen Ausgangsbedingungen schafft, die vor jedem gleichermaßen gerechtfertigt sind. Wer sich nicht an die Regeln im Schach hält, spielt kein Schach. Er ist im Unrecht.
In der basalsten Ebene wäre es somit ungerecht, Leistungen im Schach mit Leistungen im Boxen zu vergleichen, vorausgesetzt, es gehört zu den spezifischen Ausgangsbedingungen, die die Beteiligten akzeptieren, sodass es in einer separaten Disziplin Schachboxen gerecht wäre.
Was bei den jüngsten hin und wieder zu beobachten ist, wenn ein "falscher" Zug gezogen wurde, lässt den Begriff der Gerechtigkeit im Schachspielen relativ deutlich: Da jeder die gleichen und fairen Ausgangsbedingungen akzeptiert hat, ist rechtlich alles in Ordnung, wenn sich niemand einen Wettbewerbsvorteil verschafft, indem er oder sie eben das Regelwerk außer Kraft setzt (Rechtsbruch). Damit verpflichtet sich jeder Schachspieler, die Regeln einzuhalten, anders gesagt: jeder schuldet jedem die Einhaltung des Regelwerks.
Man kann somit den Rechtsraum in drei Bereiche (Urteilsebenen) gliedern:
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In die durch das Normsystem bestimmte Sphäre der "Wahrheit", in der man sich befindet, wenn man das tut, was gefordert wird. Man liegt immer richtig, wenn sich die Entscheidungen an das spezifische Normsystem (wie Schachspiel) anschließen.
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Durch die Unterscheidung der Spielregeln muss sich das Schachspiel von anderen Spielen abgrenzen, deren Regelwerke sich allesamt im Unrecht befinden. Die Falschheit ist quasi eindeutig eingeschlossen und wird selbstverständlich als solches erkannt (oder systemtheoretisch gesprochen wird die Unterscheidung in sich wiederholt: re-entry)
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Der dritte Bereich ist der Interessanteste. Hier gehören alle nicht normierten Fälle, die aber eine Möglichkeit implizieren, wie etwa Notsituationen (Feueralarm) oder eben alle potentiellen Rechtsfälle (Dopingmittel).
Wie man sich vorstellen kann, sind die Konfliktfälle nicht immer so eindeutig auf die bloßen Schachregeln fixiert, sondern divergieren, je nachdem um welche Arten des Schachspielens es sich handelt (Einzel/Mannschaft, Blitz/Schnellschach usw.). Ab der nächsthöheren Ebene gelten also zusätzliche Ausgangsbedingungen und Pflichten wie etwa, dass man im Blitzen keinen Aufschlag bekommt, in einer Zweistundenpartie aber eine halbe Stunde nach vierzig Zügen usw. Diese werden quasi aus dem Unbestimmten bestimmt und gelten fortan als Wahrheitskriterien.
Für das Schachspiel können wir somit zwischen so etwas wie Grundrechten (Grundverpflichtungen) unterscheiden - also dass alle SchachspielerInnen das bloße Regelwerk befolgen-, und weiteren, konventionellen Zusatzrechten, die je nach Spielmodi variieren können.
Doch auch hier wird klar, wer im Recht und wer im Unrecht ist. Das Rechtssystem wird meistens von einem vertraglich (oder mündlich) abgeschlossenen Regelwerk gestützt, das über seine eigenen, aus dem Gebilde stammenden (den ausgebildeten) Schieds-Richter verfügt, die ausschließlich für den bestimmten Rechtsraum rechtskräftige Entscheidungen fällen können. Um dem Unparteilichen die Profitchancen zu verwehren (denn das ergibt sich, wenn ein Mitglied über ein Mitglied urteilt), darf der gleichmütige Richter also keinen Wettbewerbsvorteil legitimieren. Der oberste Grundsatz ist nämlich, dass die Ausgangsbedingungen vor jedem gleichermaßen gerechtfertigt werden können und es die Pflicht von jedem, der an diese Bedingungen glaubt, ist, sie einzuhalten (eine subtile, etwas spekulative Differenzierung wie etwa, dass jeder einen eigenen Richter in sich trägt, der latent die Züge auf Gerechtigkeit prüft, lasse ich außen vor).
3. Die Wahrheitspolitik im Schach
Der unbestimmte Rechtsraum, also die Sphäre, in der die Gerechtigkeit noch nicht festgelegt ist und in der es auch keine geben kann, kann unmöglich von einem Schiedsrichter geregelt werden. Der Richter würde in jedem Fall parteilich sein, wenn er über eine Notsituation urteilt, da er es nur mit seinen Wahrheitskriterien machen kann, die nicht dafür gelten. Geht aus irgendwelchen Gründen der Feueralarm los, so kann es keinen Schuldigen im Spiel geben, wenn es abgebrochen wird. Für gewöhnlich sucht man dann nach einer Ausgangssituation, die allen Beteiligten wieder eine faire Situation bietet, die vor allen gerechtfertigt werden kann.
Der unbestimmte Rechtsraum ist der Lebensraum von Politikern. Politik, das ist in erster Linie ein Kampf um das soziale Sosein, also was fortan als richtig und falsch, gut und schlecht, gesund und ungesund usw. zu gelten hat. Auch im Schach gibt es Politik und ihre Akteure, die darüber debattieren, wie ihr Markt funktionieren soll.
Beispiel Doping
Soweit ich das von meiner Wahrnehmung aus beschreiben kann, gewann dieses Thema in den letzten Jahren zusehends an Aufmerksamkeit, sodass selbst bei der letzten Deutschen Jugendmeisterschaft dafür geworden wurde.
Was heute noch undenkbar ist, kann über die Interessenarbeit von Marktaufsehern (wie den Funktionären der FIDE) morgen schon "Realität" besitzen. Wenn diese sich darauf einigen, dass Kaffee Doping ist, dann würden theoretisch alle Kaffeetrinker zu einem Wettbewerbsvorteil greifen, wenn sie auf den von FIDE angebotenen Turnieren nebenbei Kaffee trinken würden. Alle KaffeetrinkerInnen wären dort im Unrecht und es wäre nicht gerecht gegenüber den anderen, dass sie Kaffee trinken. Das Beispiel zeigt auch, dass die Bestimmung des Unbestimmten (und damit, was als richtig und falsch zu gelten hat) keine reelle Nachfrage seitens der Schachspieler benötigt, sondern die Reaktion des Marktanbieters (die Institution FIDE) auf ein scheinbares Problem (Doping) ist, womit das bisherige Normsystem nicht fertig wird. Wann beginnt Doping? Der Anbieter möchte daher, fast schon hysterisch, die Qualität seines Produktes (Schach-Olympiade) sichern, ganz gleich, ob die Zielgruppe damit einverstanden ist.
Die Lobbyisten der Anti-Doping-Gruppierung versuchen daher, ihre Wahrheitskriterien in das Rechtssystem zu indoktrinieren. Die Öffentlichkeitsarbeit gehört ebenfalls zum Programm, um bei den Konsumenten ein Bewusstsein darüber zu schaffen, warum Doping ungesund für sie ist (siehe DSJ-Propaganda: "Die Leistung bist Du!").
Politiker sind wichtig. Vor hundert Jahren war Doping im Schach kein Thema. Es benötigt Akteure, die solche Kämpfe untereinander austragen und auf das Unbestimmte und Willkürliche so reagieren, dass die Ausgangsbedingungen weiter fair für alle Betroffenen sind und niemanden einen Nachteil bescheren.
4. Zur Funktion des schlechten Gewissens
Da, wo Unrecht begangen wurde, wo also jemand gesetzte Grenzen übertreten hat und den anderen einen Nachteil bescherte, finden sich schuldige Täter. Der Schuldige ist jemand, der das von allen objektiv akzeptierte Regelwerk nicht einhält und damit sein Wort bricht, daher Ver(trags)-brecher. Er lädt sich damit eine Schuld auf, eine Forderung von anderen, die er in der Strafe abbezahlen muss.
Der berühmteste Fall ist das Handyklingeln. Da vor dem Wettkampf sich alle darauf geeinigt haben, die Handys auszuschalten (angeblicher Vorteil/Nachteil), ist der Wortbrecher jemand, der sich nicht an das Verbot hält und sich somit schuldig macht, wenn es denn klingelt. Die Strafe ist eine verlorene Partie (oder zwei...).
Zusätzlich kann sich je nach Habitus ein schlechtes Gewissen einschleichen, das mehr oder minder eine Schuldenfunktion einnimmt, die dem Straftäter die Schulden zuschreibt, womit er sich auch verpflichtet, diese abzubezahlen. Das schlechte Gewissen zeigt sich vielmehr darin, dass wenn der Straftäter der Mannschaft dadurch den Sieg "raubt", sich selbst auch etwas schulden kann, wenn er eine gute Saisonplatzierung von sich forderte. Der Mannschaft blieb er diesen Sieg "schuldig" und könnte somit ein schlechtes Gewissen gegenüber seinen Gläubigern bekommen (z.B. wenn er sich Ziele gesetzt hat). Ein Wortbrecher (auch Ver-sager) kann also durchaus sich selbst bestrafen, wenn er einen Schadensersatz für die verfehlten Ziele geltend macht, indem er das nächste Mal eine Brettherabsetzung für sich fordert oder den Spielbetrieb komplett aufgibt.
Eine solche Einstellung zu einem Rechtfertigungsglauben (die am besten damit beschrieben werden können, dass die Aktivitäten in einer Art Kontokorrentrechnung geführt werden, in der "Erfolge" und "Verluste" symbolisch aufgelistet werden) lehne ich jedoch aus theoretischen Gründen entschieden ab. Eine zweiwertige Logik hält der Wirklichkeit einfach nicht stand.
Es werden laufend zahlreiche Aktivitäten verbucht, die jenseits von gut oder schlecht, richtig oder falsch liegen – die Überraschungen eben, die man erst nach ihrer Verdauung bewerten kann.
Statt ständig an einem schlechten Gewissen zu arbeiten, indem man wie in einem planwirtschaftlichen Vereinsunternehmen Ziele formuliert oder an sich selbst Forderungen stellt, bevorzuge ich alternativ die Arbeit an einem starken Immunsystem (gesunde Moral), das im Falle eines Rechtsbruchs keine Bestrafung sucht (schon gar nicht eine Schuld in sich selbst). Es wäre schlichtweg ungerecht, etwas von sich zu fordern, was einen selbst überrascht.
Wie sieht also die Alternative aus? Das Gegenteil ist das reine Gewissen, dass sich instinktiv nichts zu schulden kommen lässt. Vorausgesetzt, man will für sich den größtmöglichen Profit erwerben, also die größtmögliche Bestätigung der eigenen Person, dass sich die Arbeit gelohnt hat, dann ist es völlig unerheblich, wie gut man Schach spielt. Wer dafür Ziele benötigt, lebt mit einem endogenen Mangel an seiner Person als Schachspieler, der unvollkommen angesehen wird. Man muss sich dies und das vornehmen, dies und das zu sich nehmen – wie ein Drogenabhängiger. Was jedoch nicht vergessen werden darf, ist, dass dahinter immer nur ein Prinzip steht: Es gibt keinen höheren Sinn im Schach als die Gewissheit der Person, dass es sich gelohnt hat, Schach zu spielen.
5. Über die Ungerechtigkeit des Mitleids
Die Beurteilung der Konfliktfälle verläuft nicht immer nach einem geordneten Schema, in der die Schuldigen ihre gerechten Strafen bekommen. Ein Störfaktor ist das Mitleid.
Wie es bereits im Begriff feststeht, nämlich Mit und Leid, ist die subjektive Zuneigung eine Art Schöpfung von Schuld(-gefühlen) mit sich selbst.
Spielen zwei Vereinsmitglieder gegeneinander und empfindet einer von beiden das Bedürfnis, dass er dem anderen einen Sieg schuldig ist, kommt es zu einer sogenannten Pflichtenkollision, in der sich meistens die supererogatorische Handlung (jenseits der Pflicht) aus altruistischen Motiven durchsetzt. Die normalen Schachregeln werden gegebenenfalls außer Kraft gesetzt und es entscheidet nicht mehr die Leistung, sondern das Leiden. Weil dieser Mitleidsakt das geltende Rechtssystem ignoriert, ist es für jemand anderes ungerecht. Der geschädigte Dritte kann dann zu Recht die Gerechtigkeitsfrage stellen und wird dann doch nur eine Rechtsbelehrung bekommen. In jedem Fall produziert das Mitleid die Ungerechtigkeit, da nicht mehr die gleichen Regeln für alle im Schach gelten.
Bei der Hybridisierung von schlechtem Gewissen und Mitleid kommt es zu den heikelsten Fällen. Kurz gesagt: Jemand anderes verfehlt seine Ziele. Das Mitleid generiert die Schuld des Ver-sagers bei sich selbst. Daraufhin baut sich ein schlechtes Gewissen für etwas auf, wofür man nicht verantwortlich ist.
Gewinnt man gegen jemanden, der sich aber selbst fest vorgenommen hatte, zu gewinnen, und schleicht sich dann das Mitleid ein, so ist es in jedem Fall schädlich für beide. Der Gewinner plagt sich mit Schuldgefühlen herum, die abbezahlt werden müssen. Im schlimmsten Fall ändert es sogar sein Jagdverhalten. Beim nächsten Mal spielt er absichtlich schwächer. Ein anderer leidet und man macht sich selbst schuldig, ihm zu helfen. Mitleid ist nicht unbedingt positiv zu bewerten.
Was ist die Alternative? Anstatt dass sich der Gewinner ent-schuld-igt, sucht man die wahre Niederlage im Moral- und Normsystem von beiden. Die Bewertungsgrundlage ist einfach zu schwach, um für alle Beteiligten die gerechteste Lösung anzubieten. Es ist einfach ungerecht, wenn der Sieger bestraft wird. Auch ist es ungerecht, Überraschungen vor ihrer Verdauung zu beurteilen.
Ein weiteres Beispiel zur Ungerechtigkeit des Mitleids findet sich im Vereinswesen. Hier ist der Tatbestand weitaus komplexer, aber mindestens genauso eindeutig.
Mitglied X fordert: "Ich will die Klasse halten!" Im Laufe der Saison macht sich bemerkbar, dass diese Forderung fest zum Bestandteil des Habitus wurde, indem sie wie ein Medikament wirken muss oder anders gesagt: Der Schachspieler ist unvollkommen. Es mangelt an etwas.
Es kommt zum Abstieg. Dadurch entsteht ein Schaden, der beseitigt werden muss. Instinktiv sucht der Erkrankte daraufhin nach einer Ursache für sein Leiden. Entweder in sich selbst oder in den anderen. X glaubt, er sei ein Opfer und es gibt einen Täter.
Mitglied Y und Z bemerken das Leiden und beteiligen sich an seiner Schuld. Es kommt zum Mitleid mit dem Schwachen: "Eigentlich hat er doch Recht." oder "Jedes Mitglied ist wichtig." usw. In einem Wort: Alle drei beteiligen sich an der Selbstkasteiung.
Ist das gerecht? Unter dem Aspekt der Ziel- und Schuldensetzung wäre es theoretisch gerecht, wenn jemand bestraft wird. Das benötigt aber einen ziemlich radikalen Ökonomismus, welcher einfach nicht verstehen kann, dass Zeit ein Geschenk ist, dass erst im Nachhinein einen Rechtfertigungsglauben und somit Nutzen bekommt.
Unter dem Aspekt der Gesundheit, also in einer Betrachtung eines Mitglieds, das sich selbst bestrafen will, wäre es völlig irrsinnig. Strafe führt zu keiner Besserung des Bestraften.
Wenn es keinen höheren Sinn im Schach gibt, als die vollständige Gewissheit, dass es sich gelohnt hat, Schach zu spielen, dann müssen eben auch die unverdaulichen Momente den größten Genuss bereiten. Träume schmecken süß, haben jedoch auch die Gefahr, dass man an ihnen verhungert.
6. Anwendugsbeispiel: Rauchen während des Spielbetriebs
Vorausgesetzt man hat das Bisherige gelesen und verstanden, dann sollte die objektive Beuteilung von praktischen Konfliktfällen halbwegs unvoreingenommen geschehen.
So gab es vor einigen Jahren in unserem Verein langatmige Diskussionen über das Rauchen.
Kurz gesagt: Es ging darum, ob man während der vereinsinternen Turniere am Spielabend rauchen darf oder nicht. Offensichtlich warf es noch nicht geregelt.
Vorgeschichte: Seit der Jahrtausendwende gab es im Jugendbereich eine Explosion, die notwendig dazu führen musste, dass diese Jugendlichen irgendwann auch am Spielabend der Erwachsenen teilnehmen wollten. Das Rauchen hielt sie davon ab.
Verlauf: Das Rechtssystem des Vereins war auf die Situation nicht eingestellt. Es lag im Bereich des Unbestimmten, aber des kontingent Möglichen. Insofern war die Debatte eine politische, in der es zu Gruppierungen gekommen ist, die ihre Regeln für alle verbindlich machen wollten.
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Auf der einen Seite fand sich die Fraktion der Raucher, die traditionalistisch dafür plädierten, im Status Quo zu beharren. Hauptargument war die Grenzziehung zwischen Jung und Alt: "Dienstagabend ist für Erwachsene."
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Auf der anderen Seite fand sich die Fraktion der Nicht-Raucher oder Jugendlichen zusammen, die modernistisch argumentierten, dass der Verein auf die Entwicklung adäquat reagieren muss und die Nicht-Raucher ein Recht darauf hätten, mitspielen zu können.
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Zusätzlich gab es noch eine weitere Gruppierung der Nicht-Raucher, die aber keine eindeutige Position bezogen haben.
Wer hat Recht? Zunächst einmal: Niemand, da das (Nicht-)Rauchen gesetzlich nirgendswo verankert war. Der unbestimmte Rechtsraum ist willkürlich.
Traditionen sind Schein-Argumente. Es scheint so, als wäre es geltende Norm, dass geraucht werden darf, "weil man es schon immer so gemacht hat."
Ebenso liefert die Entwicklung keine Aussagekraft darüber, ob sie sich auch im Spielbetrieb der Erwachsenen niederschlägt. Schließlich war die Beteiligung an Vereinsturnieren seitens der Jugendlichen mangelhaft auch trotz Einschränkungen.
Eine gerechte Lösung:
Gehen wir zurück zu unserem Ausgangspunkt der Gerechtigkeit, so müssen die Rechte und Pflichten für alle gleichermaßen gelten, sodass sie vor jedem gerechtfertigt werden können.
Eine Vereinsmeisterschaft, in der sich jemand einen Wettbewerbsvorteil verschafft, bietet nicht die gleichen fairen Ausgangsbedingungen für alle. Unser Verständnis von einem Verein besagt aber, dass alle Mitglieder gleichermaßen zum Verein gehören. Trägt der Verein (also die Mitglieder) ein Turnier aus, indem einige Mitglieder a priori benachteiligt werden, dann ist es kein gerechtes Turnier. Es daher völlig unerheblich, wie man persönlich zu dem Thema steht. Als Mitglied muss man dafür sorgen, dass die Rechte und Pflichten jedes Mitglieds gewahrt bleiben. Es gilt die goldene Regel: Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge auch keinem anderen zu.
Der Fall ist eindeutig und wurde auch gesetzlich verankert. Während eines Vereinsturniers wird im Turniersaal nicht geraucht, weil einige Vereinsmitglieder einen Nachteil haben, wenn sie etwa vom Rauch gestört werden oder von diesem komplett vom Spielen abgehalten werden. Es ist daher auch moralisch "schlecht", weil es das Leistungsvermögen inhibiert. Selbstverständlich ist auch, dass jeder das Recht einfordern kann, dass ihm kein weiterer Nachteil entsteht – wie etwa, dass es im Turniersaal ruhig zugeht, was ich aber persönlich noch nicht erlebt habe.
Eine Wahrheitspolitik braucht man um solche Evidenzen nicht zu führen. Man hat Unrecht, wenn man einen Nachteil für andere schafft. Und genau hier hüte man sich vor dem Mitleid mit den Ungerechten: Wer sein Unrecht nicht verstehen kann, dessen Position braucht man nicht zu verteidigen. Es wäre schädlich für alle Betroffenen. Eine Rechtbelehrung ist notwendig.
Man muss sich auf solche Ausgangsbedingungen einigen, die niemand als ungerecht empfinden kann. Der Vorrang einer Beurteilung haben dabei immer die basalsten Schachregeln, gefolgt von den Prinzipien des Marktes. Eine Vereinsmeisterschaft impliziert, dass alle Vereinsmitglieder das Recht haben, mitzuspielen.
7. Das Opfer für den Vereinsgott
Den Charakter von Zielen habe ich nun oft genug betont. Man nimmt sich etwas vor, dass man erreichen will, ja erreichen soll, damit man anschließend sagen kann: Die harte Arbeit hat sich gelohnt, mein Schach ist etwas wert. Die Schuld mit sich selbst oder mit anderen – die Forderung, die verpflichtet, dass man sie auch erfüllen muss – verfolgt dabei stets ein und dasselbe Prinzip: Es gibt keinen höheren Sinn im Schach als die Gewissheit für die Person, dass es sich gelohnt hat, Schach zu spielen.
Bei der Bilanzierung der Aktivitäten fungieren gescheiterte Ziele dann wie eine Bankrott-Erklärung. Im schlimmsten Fall bestreitet die Person, dass sie als Schachspieler noch einen Nutzen hat. Dann wird das getan, was ein Rechtfertigungsaberglauben verlangt: Der entstandene Schaden muss beseitigt werden. Es gibt noch irgendwo die Schuld, die beglichen werden muss. Sonst geht die Rechnung nicht auf – und das wäre ja ziemlich ungerecht.
Hat also Mitglied X ein Recht auf Schadensersatz durch den Verein? Müssen Mitglieder bestraft werden, um den entstandenen symbolischen Schaden (z.B. Minderung von Stolz) zu beseitigen? Hier sind die vertraglichen Absicherungen entscheidend. Ziele haben in jedem Fall vertraglichen Charakter. Wer Ziele verpasst, wird immer bestraft. Schlechtes Gewissen, aber vor allem die Trauer sind solche lebenshindernde Faktoren.
Haben alle Mitglieder vorher planwirtschaftlicht versichert, dass sie alle dieses gemeinsame Ziel haben, der Verein also ein und dieselbe Sprache spricht, dann wird die Kollektivschuld entweder kollektiv beglichen oder noch eher wahrscheinlicher im Opfer. Ein Schuldiger wird gesucht und gefunden, der dann für alle den Kopf hinhält.
Findet sich X der Situation konfrontiert, dass es für seinen Schaden keine Bestrafung bei den Mitglieder gab, dann wählt er meistens den Weg der Selbstaufopferung – ein Gestus, der in sämtlichen gesellschaftlichen Formationen lange Tradition hat.
Das Opfer ist ein wichtiger Bestandteil des Rechtfertigungsglaubens. Der Glauben an eine Rechtfertigung für die Mitgliedschaft konzipiert eine höhere Macht wie "den" Verein. "Der" Verein hat auf einmal Ziele und normative Grundsätze, ja sogar einen eigenen Willen und seine Priesterschaft, die meint, für den Verein sprechen zu dürfen. Auch wenn man es ungern zugibt, so lässt sich am Verhalten der MitgliederInnen beobachten, dass scheinbar hin und wieder etwas dem Vereinsgott geopfert werden muss, um sich dann wieder mit seinem Gläubiger zu versöhnen.
Man wird hoffentlich nachvollziehen können, dass eine Vereinigung von Personen, die alle nur für sich wirtschaften, kein unverbindliches, absolutes Ziel hat. Untereinander werden Kämpfe ausgetragen, was als wahr für den Verein zu gelten hat.
Gerechtigkeit ist ein Konfliktprodukt. Jeder will für sich den größtmöglichen Profit. Der eine will sein Leiden stimulieren, der andere will einfach nur ein reines Gewissen. Und ab hier kann ich mich nur wiederholen: Eine gesunder Organismus fordert eben nicht das ein, was ihm selbst schaden könnte. Er weiß instinktiv, fast schon visionär, wie er zu haushalten hat.
Der Zusammenschluss dient einem egoistischen Profitinteresse. Eine Person, die als Jugendwart nicht mitspielt, profitiert in seiner Funktion. Seine Arbeit mit den Jugendlichen kann sich bei deren Erfolg lohnen. Daraus können wieder normative Grundsätze abgeleitet werden, wie etwa, dass es gerecht wäre, wenn der Jugendbereich finanziell mehr unterstützt wird, weil er nunmal rentabel ist.
Um aber der vollkommenen Relativität zu entgehen, wie dass es doch einen Antrieb geben muss, sprach ich öfters von "Gesundheit". Wenn man sich dennoch das Vereins-Wesen vorstellen will als das, was hinter dem Vereinsnamen steht, dann könnte man es als ein Organismus auffassen, der aber nur eine einzige Notwendigkeit hat: die Selbsterhaltung. Es ist kein Ziel, keine pessimistische Sicht auf etwas Unvollkommenes, sondern ein Vertrauen auf die eigene Größe und Stärke, eine Bejahung des Selbst. Eine gute Verdauung verkraftet jede Überraschung und geht daraus noch stärker hervor.
Hat also ein Vereinsmitglied Anspruch auf Schadensersatz?
Aus der gesundheitlichen Perspektive heraus: nie und nimmer, weil eine Bestrafung immer ungesund ist. Die Frage geht eher in die Richtung: Wieso muss es ein Bestraften geben? Ließe sich das schlechte Gewissen abschaffen und stattdessen ein reines Gewissen einführen, das sich vor nichts fürchtet? Wieso muss man traurig und unzufrieden sein, an sich selbst oder an den anderen leiden? Ist es denn so schwer zu verstehen, dass es überhaupt keinen Vereinsgott gibt, dessen Plan man erfüllen könnte, indem man Ziele formuliert wie "rumdaddeln" oder "aufsteigen"?
Muss ich noch den Unterschied zwischen Schuldentilgung und Schuldenerlass erklären?
Das eine benötigt Schwächlinge, die Gehorsam gegenüber einem Gläubiger leisten und seine Forderungen erfüllen.
Das andere entspringt der Stärke und des Überflusses. Ein Schuldenerlass des Gläubigers ist ein Akt der Gnade und nicht des Mitleids.
Bekanntlich ist letzteres auch das wirksamste Instrument eines Gottes und der hätte sicherlich keine Ziele mehr.
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- Geschrieben von Fjodor Schäfer
- Kategorie: Blog
Dieser Essay dient einer kritischen Reflexion über die Mechanismen im Schachsport (PDF-Version). Zweiter Teil: Das Vereinswesen. Viel Vergnügen beim Lesen!
Wenn wir an das Schach-spiel denken, wie es durch ein spezifisches Regelwerk von anderen Spielen unterschieden ist, so stellt sich auch die basale Frage, was der Grund sein könnte, weshalb die Personen ihre Zeit in das Spiel investieren. Aus einer ökonomischen Perspektive heraus – und ich meine es wertfrei im Gegensatz zu einem Ökonomismus von Ökonomen - , ließe sich die Bedeutung des Schachspiels relativ einfach klären: Profitmaximierung.
Sei es nun in dem Aufbau von sozialen Beziehungen, in welchen man durch soziale Arbeit sich ein Beziehungsgeflecht strickt (Freunde, Bekannte, Gegner usw. erfordern Beziehungsarbeit), so dient die Ressource Zeit, welche man in das Schachspielen investiert, eben auch einem Gewinninteresse, das man sich durch die Beziehungen erhofft. EIn Gewinn von Beziehungsarbeit ist die Stabilität der Beziehungen selbst. Man lernt neue Menschen kennen, es bilden sich so genannte "Freundschaften fürs Leben", aber auch Bekanntschaften und höfliche Rivalitäten. Diese Form des sozialen Kapitals, welches man sich durch Beziehungsarbeit akkumuliert, dient auch einer Senkung von Transaktionskosten: Kann sein, dass die Kompetenz eines Schachfreundes in einer ganz anderen Situation nützlich sein kann und man dadurch die Stabilität der Bindungen für sich nutzt.
Der "Profit" oder "Gewinn" aus sozialer Arbeit lässt sich wohl auch ausdrücken als die Bestätigung der eigenen Position im anderen. Man ist nun etwas "Wert" für andere und erhält dadurch eine Nachfrage.
Was sind die Ausdrucksformen von Beziehungsarbeit? Angefangen bei losen Spielgemeinschaften zwischen zwei Personen, welche sich regelmäßig zum Schachspielen im Park oder in der Kneipe treffen, über der Organisation eines Schachvereins, der Integration erfordert - was die Freiheitsgrade seiner Mitglieder senkt, wodurch sie aber erheblich mehr Spiel- und Siegmöglichkeiten (Profite) erhalten können -, bis hin zu Verbänden; jedesmal ist abseits des Schachspiels eine organisatorische Kraft notwendig, die nicht möglich wäre, wenn man nicht die gleiche Sprache spricht, d.h. über das Schachspiel miteinander reden kann.
Dadurch, dass die Personen an das Regelwerk glauben, grenzen sie sich nicht nur von anderen Spielfeldern ab, sondern erhalten im Feld (Markt, Raum) eine neue Identität zugewiesen. Sicherlich sind SchachspielerInnen nette Leute, aber spielen auch wirklich alle netten Leute Schach? Wird ein Großmeister auch von allen auf der Straße erkannt oder erst von SchachspielerInnen? Man muss hier eine klare Linie ziehen zwischen einer Person, die eine Geschichte hat, und einem Schachspieler, welcher so etwas wie eine Epoche davon ist. Mit jeder Lebensgeschichte endet jede Epoche, aber mit einer Epoche endet längst nicht jede Lebensgeschichte.
Denken wir uns dieses Schema für eine Institution, die aus mindestens zwei Personen besteht, die sich reziprok wahrnehmen. So könnte man sagen, dass eine Schachpartie die minimalste Form eines Wettbewerbs ist. Die Personen bieten sich als SchachspielerInnen an und je nach dem, ob die Nachfrage des anderen angeregt wird, kommt es anschließend zu einer Begegnung, aus der ein Preis (z.B. die Wertungszahl) festgesetzt werden kann.
Der Marktpreis ist jedoch nicht nur etwas so eindeutiges wie die Wertungszahl. Ein Großmeister ohne DWZ symboliert ebenfalls einen bestimmten Wert und wird auf Turnieren daher meistens subventioniert, obwohl sein Preis speziell für diese Währung (DWZ ist eine Gewährleistung des Schachbundes) nicht berechnet wurde.
Angenommen, das, was im Schach getauscht wird, ist etwas Symbolisches, eine spezifische Sorte von Kapital, die nachher festsetzt, welchen Wert das eigene Schachspiel nimmt. Schauen wir uns an, was passiert, wenn jemand im Schach gewinnt. So ist das, was diese Person aus der Begegnung mitnimmt, ein Sieg. Er kann anschließend sagen, dass dieser Sieg zu seinem persönlichen Besitz gehört: "Ich habe gewonnen. Diese Leistung kann mir keiner mehr nehmen."
Wie steht es beim anderen? Dieser hat ebenfalls etwas aus der Begegnung mitgenommen, eine Niederlage, oder wie es so schön heißt: er hat Erfahrung dazu gewonnen. Nichtsdestotrotz wirkt sich diese Niederlage negativ auf seinen Preis in einem organisierten Markt aus. Sein Schachspiel hat für die Schachlandschaft, in der dieser Wert festgesetzt wird (z.B. Deutscher Schachbund), weniger Wert als das des anderen.
Im Laufe einer Karriere häuft ein/e Spieler/in also so und so viel Siege, Remisen und Niederlagen an, die irgendwann in einem Preis ihren Ausdruck finden und nun seinem kognitiven Produktionssystems einen eigenen Wert geben. Von einem Großmeister erwartet man, dass er gegen einen Neuankömmling gewinnt, da sein Schachspiel ansonsten auch erheblich an Wert(ungszahl) verliert.
Wie wird der Preis genau festgesetzt? Eine Preissetzung benötigt in erster Linie die formale Dokumentation, damit das Ergebnis auch anschließend zum Besitz hinzugerechnet werden kann und die Eigentumsverhältnisse korrekt sind. Daher benötigt es erstens einen einheitlichen Spielmodus sowie der Partienotation, die der Leistung eine Materialität gibt. Zweitens braucht es einen Wertungsreferenten, welcher befugt ist, Preise zu berechnen. Drittens eine Art Börse oder Dachorganisation (Schachbund, FIDE), welche den SpielerInnen eine Plattform (national/international) und ihre Währung (DWZ/ELO) anbietet, durch die sie ihr Angebot bewerten können und ihrem Schachspiel somit speziell für diesen Markt einen Wert geben. Es sei an dieser Stelle nur daran erinnert, wie oft ELO und DWZ auseinanderklaffen. Man fragt da schon fast nach einem Umrechnungskurs.
Die organisierten Marktplätze (Turniere, Ligen) müssen jedoch nicht immer einer Preissetzung unterliegen. Welchen Zweck erfüllt zum Beispiel ein Blitzturnier, wenn man doch anschließend nicht wissen kann, ob sich eine Wertsteigerung bemerkbar macht? Man ahnt es schon: Angenommen, das Tauschmittel im Schachspiels sei symbolisches Kapital, so gehören im Schach erworbene Titel aber auch Platzierungen maßgeblich zum Besitz dazu. Dieser Besitz drückt sich nicht nur in der Kommunikation aus ("X ist Landesmeister 2011" / "Y ist Vize-Landesmeister 2011" usw.), sondern erhält im Gegensatz zu einer Wertungszahl, die kontinuierlich mitgedacht wird, etwas Materielles, damit der Besitz auch nicht vergessen werden kann: Pokale, Urkunden, sonstige Geschenke. An dieser Stelle sei auf die Besonderheit eines Schachtitels hingewiesen. Dieser kann nicht zum sozialen Kapital, also etwas, was durch soziale Arbeit akkumuliert wird, hinzugezählt werden, da er nur durch schachliche Arbeit (Training, Spiele) erworben werden kann.
Auch sollte man das Argument fallen lassen, dass die Wertungszahl per se etwas zu bedeuten hat. Eine starke Niederlage kann sich positiv auf das Produktionssystems auswirken. Ebenso kann ein Rückgang an schachlicher Arbeit bei gleichbleibendem Marktpreis einen rapiden Kurssturz bei der Investition in Turniere oder Ligen nach sich ziehen.
Man beachte nun den subtilen Unterschied. Innerhalb der Leistungen finden sich Hierarchien wieder. Von einem Großmeister erwartet man nunmal, dass er seine Leistung mitbringt. Dagegen ist jemand, der irgendwann mal irgendwo Blitzmeister war, nicht zwangsläufig jemand, der auch für gutes Schachspielen steht. Die Einführung einer einheitlichen Währung im Deutschen Schach war daher sicherlich ein wichtiges Ereignis für das Schachspiel in Deutschland.
Ein Verein besteht aus Mit-glieder-n, welche nicht zwangsläufig über ihre Identität als SchachspielerInnen diesem angehören müssen (z.B. Ehrenmitglieder). Gesetzt dem Fall, ein Verein hat seine Geschichte, in der die Mitglieder (Personen und SchachspielerInnen) die Epochen darstellen, so ist die Stimme des Vereins nicht nur der Vorstand, sondern auch jedes einzelne integrierte Mitglied.
Analysieren wir einmal ganz genau, wie es sein kann, dass man sich über den Erfolg eines Vereinsmitglieds freuen kann, obwohl man scheinbar gar nichts dazu beigetragen hat. Wer nimmt also an diesem Profit teil? Dazu ein aktuelles Beispiel: Unsere Jugendmannschaft ist in der abgelaufenen Saison in die Jugendbundesliga aufgestiegen. Man ahnt es vielleicht schon an der Sprache. Denn mit diesem Satz ist ein Besitzanspruch ausgedrückt. Wem gehört die Jugendmannschaft? Weder mir, noch den Jugendspielern. Sie gehört dem Verein. Lokalisiert ist sie hauptsächlich bei den jugendlichen Vereinsmitgliedern. Wer spricht also über unsere Mannschaft? Der Verein. Jede Person, die sich in einen Verein integriert, erhält auch dort eine neue Identität. Das verändert die Optik. Der Verein interessiert sich für seine Mitglieder. Daher schaut man bei den Ergebnissen der Vereinsmitglieder, ob Ligen oder externe Turniere, genauer hin. In Wirklichkeit ist es somit nicht der Schachspieler, der sich über den Erfolg freut. Schließlich sind es seine Kontrahenten. Es ist der Verein, der den Profit wahrnimmt. Man achte in Zukunft auf das Sprechen, wenn es zum Beispiel heißt: "Ich spiele bei einem Bundesligisten." Der Profit wird zur Schau gestellt und angelegt, damit er Zinsen abwerfen kann. Vielleicht redet man noch in zehn Jahren darüber – aber immerhin darf man darüber reden.
Warum ist nun also der Erfolg von anderen der eigene? Sich einem Verein anzuschließen, bedeutet zwar, Freiheitsgrade einzuschränken, indem man dem Verein bei sich eine Stimme gibt, andererseits bedeutet es auch, neue Marktsegmente zu erschließen. Überall, wo man Zeit einsetzt, erhebt man auch meistens einen Besitzanspruch. Ein Jugendwart spielt zwar nicht mit, wird aber durch den Erfolg der Mannschaft ebenfalls bestätigt. Seine Jugendarbeit hat sich sozusagen gelohnt, indem nun die Mannschaft, die dem Verein gehört, dem Jugendwart diesen Erfolg mittelbar über seine Vereinsmitgliedschaft zuschreibt. Dabei ist es nicht entscheidend, ob unser Jugendwart durch seinen passiven Status einen Migrationshintergrund besitzt. Vielmehr wird er sich mehr über den Erfolg freuen als jemand, der weniger dafür gearbeitet hat. Noch einmal: Es ist nicht der Schachspieler, der am Erfolg seiner Kontrahenten teilnimmt.
Ziele haben - wie im ganz normalen Leben - nur einen Sinn: Schulden. Indem man sich ein Ziel setzt, nimmt man gleichzeitig eine Schuld auf sich, die man (für sich oder für andere) abbezahlen will, um anschließend seinen Mehr-Besitz zu genießen. Angenommen, jemand hat Ziele wie Meisterschaft holen, Wertungszahl steigern oder Klassenerhalt sichern, so ist der/die Schachspieler/in zunächst in einer Schuld gegen sich als Person oder gegen andere. Die Person investiert die Zeit in Schach, damit es die Meisterschaft holt usw. Wenn sie die Meisterschaft holt usw., finden der/die Schachspieler/in Bestätigung in der eigenen Person: z.B. "Es hat sich gelohnt, dass Schachtraining dem Fussballspielen vorzuziehen." usw.
Gesetzt dem Fall, der Schachspieler holt nicht die erhoffte Meisterschaft, steigert nicht die Wertungszahl oder steigt mit seiner Mannschaft sogar ab, so kann man sich denken, was mit der Person los ist, wenn sie bemerkt, dass sie als Schachspieler alle ihre Ziele (Schulden) nicht bedienen kann. Es können sich Schuldgefühle einschleichen, die zu einer Abschreibung am bisher erworbenen Besitz werden. Dafür, dass die Ziele nicht erreicht wurden, denkt sich die Person, ist die Schuld ja noch da, nur irgendwo anders. Man ahnt es schon. Das eigene Schachspiel wird in Frage gestellt: "Bringt doch alles nichts. Ich hör auf." Was dieser Zahlungsausfall bedeutet, lässt sich recht gut unter dem Begriff Krise subsumieren.
Was damit gesagt werden soll, ist folgendes: Ziele und Erwartungen sind zwar die treibende Kraft für den Kapitalverkehr, jedoch sollte man das Risiko dieser Schuldenmacherei deliberativ einkalkulieren. Wer nicht das vorhandene Leistungsvermögen besitzt, um seinen Renditewahn zu befriedigen, sollte kleinere Brötchen backen. Außerdem schleichen sich schnell gefährliche Selbstverständlichkeiten ein: Man steigt auf, sichert zweimal den Klassenerhalt und anschließend wird es selbstverständlich, dass man in dieser Spielklasse spielt. Die Schuld "Aufstieg" wird transformiert in "Klassenerhalt". Das ursprüngliche Ziel gilt somit als getilgt. Daraus folgt aber auch gleichzeitig, dass bei einem Abstieg plötzlich die blanke Panik einsetzt, da eine alte Schuld sich mit einer anderen (dem Klassenerhalt der höheren Spielklasse) summiert.
Es genügt mir daher nur ein Satz zur Widerlegung des Aberglaubens, man müsste Ziele besitzen:
Gesetzt dem Fall, es gebe einen unschlagbaren, allerbesten Schachspieler, ob Mensch oder Maschine, so besitzt dieser qua Definition keine Ziele mehr. Wer stark ist, braucht keine Ziele. Er holt eh alles, was ihm zusteht. Mit Zielsetzungen oder Zweckmäßigkeiten hat er nichts zu tun. Vielmehr ist er selbst ein Ziel. An solchen Mentalitäten gibt es viel zu lernen.
Was ist gut? Nach den bisherigen Schlüssen alles, was der Profitmaximierung dienlich ist: Siegen tut einem gut, Verlieren aber auch, solange die Niederlage den persönlichen Besitz bestätigt oder gar erhöht. Eine starke Niederlage gegen einen starken Gegner gewinnt Erfahrung. Gut für den Schachspieler ist aber auch, wenn seine Vereins- oder auch Verbandsarbeit zum erfolgreichen Bewähren des Vereins/Verbandes beiträgt.
Was ist schlecht? Alles, was das Leistungsvermögen inhibiert, vermindert oder dessen Existenz gar völlig abstreitet. Seine Ziele komplett zu verfehlen, gleicht einer Bankrott-Erklärung. Der Satz „Ich hör‘ auf mit Schach“ ist nichts anderes, als dass die Person bestreitet, dass sie als Schachspieler noch einen Nutzen hat.
Woher stammt das moralische Urteilsvermögen des Schachspielers/in? Aus der Lebensgeschichte der Personen, welche sich maßgeblich aus der Erziehung ergibt. Von Anfang an mit Zielen konfrontiert zu sein, die man im Laufe seiner Karriere abbezahlen muss, prägt den Habitus und definiert seine Moralvorstellungen. Eine radikale Moral urteilt ausschließlich im Schachspiel selbst und nur nach Sieg oder Niederlage. Jeder Sieg ist gut. Jede Niederlage ist schlecht. Zwei Remisen sind eine Niederlage.
Die Konsequenz kann einerseits sein, dass die Schulden tatsächlich bedient werden können, andererseits ist ein solches Renditestreben auch ziemlich risikoreich und ein Zweck an sich: Es müssen laufend neue Schulden aufgenommen werden.
Was ist eine gesunde Moral? Eine Moral, die nicht nur auf Wachstum des Leistungsvermögens setzt, sondern auch womit die Schachspieler alles Krankhafte von sich fernhalten. Man beobachtet diese schon am Euphemismus des Spielers: „Ich habe zwar verloren, aber viel dazu gelernt. Nächstes Mal weiß ich, dass ich meinen Gegner schlagen werde.“ Gesund ist diese Moral deswegen, weil die Person den Schachspieler nicht als eine misslungene Epoche ansieht, wie eine Krankheit. Eine pessimistische Einstellung gegenüber dem Schach ist ein deutliches Symptom für eine degenerierende Gesundheit des Schachspielers/in. Betrachten wir noch einmal den Satz: „Ich hör‘ auf mit Schach“, so wird deutlich, dass da jemand gestorben ist.
Wann könnte ein Verein von sich aus sagen, dass etwas „gut“ für ihn ist.
Zunächst einmal besitzt ein Verein durch seinen Vorstand eine juristische Stimme, aber wann spricht der Vorstand für den Verein? Ich denke, man könnte es mit Gesundheit besser umschreiben. Angenommen, ein guter Verein wäre ein gesunder Organismus aus gesunden Zellen, so ist meine These: Dass er wachsen wird und instinktiv alles Krankhafte und Todbringende von sich abwehrt.
Ein Beispiel: Unsere Jugendmannschaft ist nach fast zehn Jahren unserer Neuformierung in die höchste deutsche Spielklasse aufgestiegen. Wir sind Bundesliga.
Sicherlich kann man es als Überraschung bezeichnen, da wir lange Zeit mit dem Abstieg zu kämpfen hatten. Ich denke aber, es widerspreche den Gesetzen der Natur. Was einen robusten Kern besitzt, der sich in der Landesliga immer wieder bewährt hat, beharrt nicht nur in seiner Nische, sondern sieht zu, wie andere scheitern und nutzt so seinen Vorteil.
Ein grundlegender Fehler wäre es, sich diesen Profit nun abzustreiten. „Das wird eh nichts“, „In fünf Jahren gibt es keine Jugendmannschaft mehr“ etc. Man ahnt es schon, wer so spricht: ein krankhafter Organismus. MitgliederInnen, die sich z.B. mit dem Pessimismus angesteckt haben, können ihre Krankheit schnell auf andere übertragen. Man hüte sich vor einer Epidemie! In solchen Fällen, die klare Symptome eines degenerierenden Habitus sind, sind vor allem gesunde Köpfe und Ärzte notwendig, die alles Krankhafte instinktiv perhorreszieren.
Zwar ist die Widerlegung des Pessimismus immer ein langweiliges Unterfangen, aber wenn schon, dann halte ich es daher wie mit den Dinosaurier: Die sind zwar auch ausgestorben, ok. Aber in ihrer Zeit, da waren die wenigstens G R O ß .
Zunächst einmal ist die Ressource Zeit, ganz gleich welcher Weltanschauung man auch angehört, geschenkt. Je nach Weltanschauung gibt es unterschiedliche Rechtfertigungsversuche für das Geschenk ex nihilo – vor wem man auch immer seine Rechtfertigung abliefern will, ob Gesellschaft oder ein höheres Wesen. Sagt z.B. jemand von sich, dass Schachspielen vergeudete Zeit ist, so ist es immer in Bezug auf seine Weltanschauung, dass diese Person die Ressource nicht vernünftig investieren kann oder konnte, um seine inkorporierte Bringschuld für sein Geschenk zu bezahlen. Schach zu spielen anstelle von Hausaufgaben zu machen und es retrospektiv als „vergeudet“ zu stigmatisieren – dieses Urteil bedeutet nämlich, dass der Habitus zuerst Erfolg im Schulsystem nachweisen muss, damit er einen sicheren Platz im Produktionssystem der Gesellschaft einnehmen kann, die ihm dadurch sein Geschenk rechtfertigt. Nicht zu verwechseln mit der Moral eines Schachspielers: Diese/r muss sich zuerst im Schach engagieren, um dort Erfolg nachzuweisen, welcher ihm dann versichert, dass seine Zeit „gut“ angelegt war.
Ich leugne daher irgendeine absolute Position, von wo aus man sagen könnte, das Schach an sich gut/schlecht/sinnvoll/nutzlos usw. wäre. Vielmehr ist es wichtig, wer gerade spricht. Ist es der Schachspieler, ein Vereinsmitglied, Fussballspieler usw. oder die Person? Selbst wenn man es radikalisiert und behauptet, man könne mit Schach seine Zeit vergeuden, so wird es dadurch verschenkte Zeit, mit der andere vielleicht etwas anfangen konnten.
Als Person bleibt da wohl nichts anderes übrig, als zu seiner Geschichte zu stehen und eine Moralisierung der Epochen zu vermeiden. Bekanntlich sind es ja auch immer Sieger, die die Geschichte schreiben.